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Was ist das Endocannabinoid-System (ECS)?

Erstellt am: 01.08.2022                     Aktualisiert am: 29.03.2023                    Autor: Alexandra Latour

Ein kurzer Rückblick in die Geschichte: Cannabis-Forschern gelang es Mitte der 1960er Jahre, die beiden bekanntesten Phytocannabinoide aus der Hanfpflanze zu identifizieren: Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). Doch es dauerte noch rund 20 Jahre, bis das Forschungsteam entdeckte, dass sich die Cannabinoide an bestimmte Rezeptoren im Körper binden. Infolge dessen nahmen die Forscher an, dass es auch körpereigene Substanzen geben muss, die an diese Rezeptoren andocken können und entdeckten die Endocannabinoide. Alle diese Forschungsergebnisse führten zur Entdeckung des Endocannabinoid-Systems (endogenes Cannabinoid-System - kurz ECS) [1, 2].

Endocannabinoid-System im Körper
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Endocannabinoide sind Substanzen (natürliche Liganden), die der Körper bei Bedarf bildet – ähnlich wie Neurotransmitter (Botenstoffe). Allerdings werden Endocannabinoide nicht wie Neurotransmitter in den Nervenzellen gespeichert. Bekannt sind bisher die folgenden Endocannabinoide:

Arachidonylethanolamid (Anandamid): Dieses Endocannabinoid kommt vorwiegend im zentralen Nervensystem vor, insbesondere in Gehirnregionen, die an den Emotionen, der Wahrnehmung, der Gedankenverarbeitung, dem Belohnungssystem sowie den Bewegungsabläufen beteiligt sind. Forscher gaben dem Endocannabinoid deshalb den Namen Anandamid – übersetzt aus dem Sanskrit („ananda“) für „Glückseligkeit“.

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2-Arachidonylglycerol (2-AG): Auch das Endocannabinoid 2-Arachidonoylglycerol (2-AG) kommt hauptsächlich im zentralen Nervensystem vor und übernimmt dort ähnliche Aufgaben wie Anandamid. Außerdem ist das Endocannabinoid an der Steuerung verschiedener Funktionen des Immunsystems beteiligt und kann das Knochenwachstum stimulieren.

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Weitere Endocannabinoide sind O-Arachidonylethanolamid, N-Arachidonoyldopamin, Docosatetraenoylethanolamid, 2-Arachidonylglycerylether sowie γ-Linolenoylethanolamid. Über diese Endocannabinoide ist jedoch bislang nur wenig bekannt.

Rezeptoren sind Bindungsstellen für verschiedene Substanzen. An die Cannabinoidrezeptoren binden sowohl Endocannabinoide als auch die Cannabinoide aus der Hanfpflanze und synthetische Cannabinoide [3]. Unterschieden wird zwischen den beiden Cannabinoid-Rezeptortypen:

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Cannabinoid-Rezeptor 1 (CB1): Der CB1-Rezeptor setzt sich aus sieben Transmembrandomänen (Lipid-Doppelschichten) und 472 Aminosäuren zusammen. Dabei befinden sich die CB1-Rezeptoren vor allem in unterschiedlichen Bereichen des Gehirns wie dem Hippocampus, dem Kleinhirn sowie in den Basalganglien. Zudem ließ sich der CB1-Rezeptor in einigen Organen nachweisen, wie zum Beispiel im Darm.

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Cannabinoid-Rezeptor 2 (CB2): Zwar besteht der CB-2 Rezeptor ebenfalls aus sieben Transmembrandomänen, aber nur aus 360 Aminosäuren. Vorwiegend befinden sich die CB2-Rezeptoren im Immunsystem bzw. genauer gesagt in den B- und T-Zellen. Auch in den Mastzellen konnten CB2-Rezeptoren nachgewiesen werden, ebenso in den Zellen, die am Aufbau und Abbau von Knochen beteiligt sind.

Des Weiteren legen verschiedene Untersuchungen nahe, dass die G-protein-gekoppelten Rezeptoren GPR18, GPR119 und GPR55 zu den Cannabinoid-Rezeptoren gehören könnten.

Das endogene Cannabinoid-System (Endocannabinoidsystem) besteht also aus den Cannabinoid-Rezeptoren (CB1-Rezeptor und CB2-Rezeptor) sowie den Endocannabinoiden. Dank der Forschung ist bekannt, dass das Endocannabinoid-System ein Teil des Nervensystems ist, dessen Hauptaufgabe darin besteht, die Homöostase (Gleichgewichtszustand) im Organismus aufrechtzuerhalten. Dabei ist das endogene Cannabinoid-System unter anderem an der Regulation folgender Prozesse beteiligt:

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Emotionen und Stimmung

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Schmerzwahrnehmung

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Schlaf

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Appetit

 

Immunsystem

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Hormonhaushalt

 

Entzündungsprozesse

 

Verdauung

 

Bewegungssteuerung

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An der Entstehung von verschiedenen Erkrankungen ist der Mangel an Neurotransmittern (Botenstoffen) mitverantwortlich. Beispielsweise ist es bei Morbus Parkinson ein Dopamin-Mangel und bei Morbus Alzheimer ein Acetylcholin-Mangel.

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Wissenschaftler haben die Hypothese aufgestellt, dass ein Mangel an Endocannabinoiden dazu führen könnte, dass die Funktion des Endocannabinoid-Systems gestört wird. Infolge dessen wären auch die unterschiedlichen Prozesse im Körper gestört. So könnte beispielsweise eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit, Schlafstörungen oder Verdauungsprobleme auftreten. Die Gabe von Cannabinoiden könnte demnach den Endocannabinoid-Mangel ausgleichen, was jedoch in Studien noch nicht eindeutig geklärt werden konnte 4].

Cannabidiol (CBD) kann unterschiedliche Effekte auslösen. Es wird davon ausgegangen, dass CBD an unterschiedlichen Bindungsstellen Reaktionen auslöst und dass die Wirkung auf verschiedene Mechanismen zurückzuführen ist.

 

Im Endocannabinoid-System bindet CBD an die CB1 und CB2 Rezeptoren agonistisch („in gleiche Richtung wirkend“). Die Aktivität der CB1- und CB2-Rezeptoren kann CBD jedoch auch blockieren, wobei dieser Mechanismus bislang unklar ist [5]. Zudem kann CBD als Antagonist am G-Protein gekoppelten Rezeptor GPR55 wirken [6]. (Erklärung: Ein Antagonist kann eine Substanz oder eine Struktur sein, die die Wirkung einer anderen Substanz oder Struktur (Agonist) aufhebt oder aber eine entgegengesetzte Wirkung auslöst.)

CBD kann auch außerhalb des Endocannabinoid-Systems wirken. Studien zufolge kann der Wirkstoff die neuronale TRPV1-Signalgebung hemmen und so die Schmerzwahrnehmung verändern [7]. Der TRPV1-Rezeptor (veraltet Vanilloid-Rezeptor 1 oder Capsaicin-Rezeptor) ist ein Ionenkanal in den Nervenzellen des zentralen und peripheren Nervensystems und ist für die Wahrnehmung schmerzhafter Reize verantwortlich.

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Interessant ist zudem, dass CBD den 5-HT1A-Rezeptor beeinflussen kann [8]. Dieser Rezeptor gehört zu den Serotonin-Rezeptoren und lässt sich vor allem im Gehirn sowie im Nervensystem bzw. in den peripheren Nervenzellen nachweisen. Wird die Aktivität des Rezeptors beeinflusst, kann dies eine angstlösende und antidepressive Wirkung entfalten.

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Darüber hinaus haben Studien gezeigt, dass CBD die Funktion des α7-Nicotin-Acetylcholin-Rezeptors (α7 nAChR) modulieren kann [9]. Dieser Rezeptor kommt in nicht-neuronalen Zellen sowie im Nervensystem vor und ist an unterschiedlichen Zuständen beteiligt, wie zum Beispiel an Entzündungen, Krebs, neurologischen und neurodegenerativen Störungen.

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Das Endocannabinoid-System ist ein Bestandteil des Nervensystems und besteht aus den Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2 sowie den vom Körper selbst gebildeten Endocannabinoiden. Dabei ist das Endocannabinoid-System an unterschiedlichen Funktionen bzw. Prozessen beteiligt und ist dafür verantwortlich, die Homöostase (Gleichgewichtszustand) im Körper aufrechtzuerhalten.

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An die CB1 Rezeptoren und CB2 Rezeptoren können sowohl die Cannabinoide aus der Hanfpflanze als auch die Endocannabinoide binden und damit unterschiedliche Reaktionen auslösen. Auch das Cannabinoid Cannabidiol (CBD) aus der Hanfpflanze kann an die CB1 Rezeptoren und CB2 Rezeptoren binden, diese aktivieren und auch blockieren. Zudem ist CBD in der Lage, außerhalb vom Endocannabinoidsystem zu wirken und an verschiedene Rezeptoren zu binden.

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Wo ist das Endocannabinoid-System?

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Das Endocannabinoidsystem findet sich im Körper von Menschen und Säugetieren und ist ein Teil des Nervensystems. Es besteht aus den körpereigenen Cannabinoiden (Endocannabinoide) sowie dem CB1 Rezeptor und CB2 Rezeptor. Während sich die CB1 Rezeptoren hauptsächlich in unterschiedlichen Bereichen des Gehirns sowie in einigen Organen befinden, lassen sich die CB2 Rezeptoren vorwiegend in den Zellen des Immunsystems nachweisen.  

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Wie funktioniert das Endocannabinoid-System?

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Das Endocannabinoid-System mit seinen Cannabinoid-Rezeptoren (CB1 und CB2) und den endogenen Cannabinoiden (Endocannabinoide) ist äußerst komplex und noch längst nicht gänzlich erforscht. Sowohl Endocannabinoide als auch Cannabinoide aus der Cannabispflanze können an die Cannabinoid-Rezeptoren binden. Einige aktivieren die Rezeptoren, andere hemmen sie und lösen so jeweils eine unterschiedliche Wirkung aus.

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Was machen körpereigene Cannabinoide?

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Endocannabinoide (körpereigene Cannabinoide) gehören zum Endocannabinoid-System und sind den Cannabinoiden aus Cannabis sehr ähnlich, jedoch baut der Körper Endocannabinoide wesentlich schneller ab. Sie binden sich genau wie Cannabinoide an die Cannabinoid-Rezeptoren und lösen dort eine Wirkung bzw. Reaktion aus.

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Was steuert das Endocannabinoid-System?

 

Das Endocannabinoid-System (ECS) ist mit seinen CB1-Rezeptoren und CB2-Rezeptoren sowie den körpereigenen Cannabinoiden (Liganden) wie Anandamid und 2-AG ein wichtiges Regulationssystem des Körpers, das an zahlreichen Prozessen beteiligt ist (z. B. Schmerzwahrnehmung, Emotionen, Immunsystem, Appetit etc.). Die Wirkstoffe (Cannabinoide) aus der Hanfpflanze binden an die Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2 und lösen in der Folge verschiedene Effekte aus.

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Alexandra Latour, Autorin, Medizinredakteurin
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Aufgrund der über zehnjährigen freiberuflichen Autorinnentätigkeit für renommierte Gesundheitsportale und Online-Magazine übernahm Alexandra Latour Anfang 2017 die stellvertr. Redaktionsleitung von Leafly Deutschland. Auch nach der Schließung der deutschen Niederlassung von Leafly war sie weiterhin als Medizinredakteurin und Beraterin in der Cannabis- und CBD-Branche tätig und konnte sich hier eine umfangreiche Expertise aneignen.

[1] Lu HC, Mackie K. Review of the Endocannabinoid System. Biol Psychiatry Cogn Neurosci Neuroimaging. 2021 Jun;6(6):607-615. doi: 10.1016/j.bpsc.2020.07.016. Epub 2020 Aug 1. PMID: 32980261; PMCID: PMC7855189

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[2] Crocq MA. History of cannabis and the endocannabinoid system Dialogues Clin Neurosci. 2020 Sep;22(3):223-228. doi: 10.31887/DCNS.2020.22.3/mcrocq. PMID: 33162765; PMCID: PMC7605027

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[3] Di Marzo V, Piscitelli F. The Endocannabinoid System and its Modulation by Phytocannabinoids. Neurotherapeutics. 2015 Oct;12(4):692-8. doi: 10.1007/s13311-015-0374-6. PMID: 26271952; PMCID: PMC4604172

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[4] Russo EB. Clinical Endocannabinoid Deficiency Reconsidered: Current Research Supports the Theory in Migraine, Fibromyalgia, Irritable Bowel, and Other Treatment-Resistant Syndromes. Cannabis Cannabinoid Res. 2016 Jul 1;1(1):154-165. doi: 10.1089/can.2016.0009. PMID: 28861491; PMCID: PMC5576607

​

[5] Thomas A, Baillie GL, Phillips AM, Razdan RK, Ross RA, Pertwee RG. Cannabidiol displays unexpectedly high potency as an antagonist of CB1 and CB2 receptor agonists in vitro. Br J Pharmacol. 2007 Mar;150(5):613-23. doi: 10.1038/sj.bjp.0707133. Epub 2007 Jan 22. PMID: 17245363; PMCID: PMC2189767

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[6] Ryberg E, Larsson N, Sjögren S, Hjorth S, Hermansson NO, Leonova J, Elebring T, Nilsson K, Drmota T, Greasley PJ. The orphan receptor GPR55 is a novel cannabinoid receptor. Br J Pharmacol. 2007 Dec;152(7):1092-101. doi: 10.1038/sj.bjp.0707460. Epub 2007 Sep 17. PMID: 17876302; PMCID: PMC2095107

​

[7] Anand U, Jones B, Korchev Y, Bloom SR, Pacchetti B, Anand P, Sodergren MH. CBD Effects on TRPV1 Signaling Pathways in Cultured DRG Neurons. J Pain Res. 2020 Sep 11;13:2269-2278. doi: 10.2147/JPR.S258433. PMID: 32982390; PMCID: PMC7494392

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[8] Dos Santos RG, Hallak JEC, Crippa JAS. Neuropharmacological Effects of the Main Phytocannabinoids: A Narrative Review. Adv Exp Med Biol. 2021;1264:29-45. doi: 10.1007/978-3-030-57369-0_3. PMID: 33332002

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[9] Chrestia JF, Esandi MDC, Bouzat C. Cannabidiol as a modulator of α7 nicotinic receptors. Cell Mol Life Sci. 2022 Oct 25;79(11):564. doi: 10.1007/s00018-022-04600-y. PMID: 36282426

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