Herzkrankheiten sind weltweit die häufigste Todesursache. Statine (Cholesterinsenker/Lipidsenker) sollen vor Arteriosklerose, Herzerkrankungen und Schlaganfällen schützen. Allerdings können diese Medikamente bei einigen Patienten Muskelschwäche und Myopathie verursachen. Früher wurde angenommen, dass die Muskelschmerzen psychosomatisch seien. Italienischen Wissenschaftlern zufolge treten diese aber auf, da Statine die Funktion der Cannabinoid-Rezeptoren beeinträchtigen können.
Die Studie, die vor der Begutachtung als Preprint auf Research Square veröffentlicht wurde, legt nahe, dass der Cholesterinsenker Simvastatin vermutlich Einfluss auf das Endocannabinoid-System nimmt. Zu dem Endocannabinoid-System gehören die endogenen Liganden (Endocannabinoide) wie Anandamid und 2-AG sowie mehrere endogene Fettsäureverbindungen und die Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2. Laut der Forscher sei problematisch, dass Simvastatin womöglich in der Lage ist, Gene zu verändern, die an der Regulierung von Cannabinoid-Rezeptoren beteiligt sind.
Cholesterinsenker und ihr Einfluss auf das Endocannabinoid-System
Statine senken den Cholesterinspiegel durch die Hemmung des Enzyms HMG-CoA-Reduktase in der Leber. Dabei senken Sie nicht nur das Low-Density-Lipoprotein („schlechtes Cholesterin“), sondern auch die Triglyceride und erhöhen gleichzeitig den Spiegel des „guten Cholesterins“. Somit trägt die Lipidregulierung zur Verringerung des Risikos von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei.
Den Forschern zufolge könnten Medikamente wie Simvastatin das Endocannabinoid-System beeinflussen. Dies könnte der Grund dafür sein, dass die Medikamente zwar im Allgemeinen gut vertragen werden, bei manchen Menschen jedoch schwerwiegende Nebenwirkungen wie Muskelschmerzen können.
„Das Leberenzym HMG-CoA setzt einen Stoffwechselweg frei, der in Pflanzen für die Produktion von Phytocannabinoiden verantwortlich ist. Bei Tieren wandelt eine einzigartige Enzymfamilie essenzielle Omega-3-Fette aus der Nahrung in Endocannabinoide um. Simvastatin dysreguliert den Endocannabinoid-Tonus, indem es Enzyme im Endocannabinoid-System“, heißt es in der aktuellen Vorabveröffentlichung. Zudem reduziere Simvastatin auch die Expression von Cannabinoidrezeptoren.
Simvastatin verändert die Expression von Endocannabinoid-Genen
Die italienischen Wissenschaftler testeten Simvastatin an speziellen Zellen und Geweben von Mäusen. Bei den im Experiment verwendeten Zellen handelte es sich um eine Art Myoblasten, eine Stammzelle, die Muskeln bildet. Die Wissenschaftler testeten das Medikament auch an Skelettmuskelgewebe, das sie aus Mäusen entnahmen, und an menschlichen Myoblasten. Dabei stellten sie fest, dass Simvastatin die Muskelkraft der behandelten Mäuse im Vergleich zu den unbehandelten Mäusen verringerte.
Der Grund dafür könnte sein, dass das Medikament Gene verändert, die für die Bildung und den Abbau von Endocannabinoiden verantwortlich sind. Die Exposition gegenüber dem Medikament erhöhte schließlich die zelluläre Endocannabinoid-Expression, d. h. es steigerte den Gehalt an Anandamid und 2-AG. Dies kann problematisch sein, da eine übermäßige Endocannabinoid-Aktivität "mit einer Vielzahl von pathologischen Zuständen in Verbindung gebracht wird, die sowohl das Gehirn als auch periphere Organe und Gewebe betreffen", erklärten die Wissenschaftler und führten Typ-2-Diabetes, Leber- und Nierenfunktionsstörungen an.
Simvastatin hemmt Cannabinoid-Rezeptor
Das Endocannabinoid-System ist ein homöostatischer Regulator und reguliert eine Vielzahl physiologischer Prozesse. Wenn der Endocannabinoidspiegel zu hoch ist, werden die Cannabinoid-Rezeptoren als Ausgleichsreaktion herunterreguliert. Umgekehrt reagieren Cannabinoid-Rezeptoren mit einer Hochregulierung, wenn die Endocannabinoidspiegel niedrig oder mangelhaft sind.
Zusätzlich zur Erhöhung der Endocannabinoidspiegel unterdrückte Simvastatin die CB1- und CB2-Rezeptoren sowie die TRPV1-Ionenkanäle, was sich negativ auf das Endocannabinoidsystem auswirkte. Denn CB1-Rezeptoren in Skelettmuskelzellen regulieren wichtige Stoffwechselwege, die die Insulinempfindlichkeit und die Glukoseaufnahme beeinflussen. Die Verabreichung von synthetischen Cannabinoid-Rezeptor-Antagonisten (z. B. Rimonabant oder AM251), die den CB1-Rezeptor blockieren, verstärkte ebenfalls die durch Simvastatin ausgelösten Muskelschmerzen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Statine eine Toxizität verursachen können, indem sie Anandamid und 2-AG dysregulieren und die Expression des CB1-Rezeptors unterdrücken, was zu einer Beeinträchtigung der Cannabinoid-Rezeptor-Signalübertragung in Myoblasten führt.
Weiter führten die Forscher aus, dass hier weitere Forschungsarbeiten notwendig sind, vor allem deswegen, weil weltweit mehr als 200 Millionen Patienten diese Medikamente einnehmen.
Quelle
Kalkan H, Panza E, Pagano E, et al. MicroRNA-mediated repression of endocannabinoid CB1 receptor expression contributes to simvastatin-induced skeletal muscle toxicity. Research Square; 2022. DOI: 10.21203/rs.3.rs-2328769/v1
Autorin: Alexandra Latour
Aufgrund der über zehnjährigen freiberuflichen Autorinnentätigkeit für renommierte Gesundheitsportale und Online-Magazine übernahm Alexandra Latour Anfang 2017 d ie stellvertr. Redaktionsleitung von Leafly Deutschland. Auch nach der Schließung der deutschen Niederlassung von Leafly war sie weiterhin als Medizinredakteurin und Beraterin in der Cannabis- und CBD-Branche tätig und konnte sich hier eine umfangreiche Expertise aneignen.
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